Hexenprozess in Vlotho
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Es sind nun schon her über 300 Jahr,
man kann vieles heut nicht mehr verstehen.
Die Erinnerung schwindet und doch bleibt es wahr,
was damals in Vlotho geschehen.
Ein neues Jahr kam eben herauf,
es war aus dem Alten geboren.
Fast war es schon Nacht, kein Bürger mehr auf,
das Erdreich, verschneit und gefroren.
Da kamen drei Kinder in unsere Stadt,
sie klopften an Läden und Türen,
weil jedes von ihnen Hunger hat,
Doch niemand ließ sich mehr stören.
Der Nachtwächter traf sie und sprach gerührt,
„Na, was treibt euch denn auf die Gassen?
Wisst ihr denn nicht, wo ihr hingehört?
Ich muß euch sonst einsperren lassen!”
Da stammelt das Älteste: „Unsre Eltern sind tot,
wir haben kein Bett und kein Haus.
Man ließ uns laufen in Elend und Not,
wir sind ja so arm wie die Maus.
Bisher hat kein Mensch uns Obdach gewährt,
gab zum Essen uns Brot oder 'nen Brei.
Da kam der Teufel, der hat uns gelehrt,
wie man hexen kann, treibt Zauberei.”
Der Nachtwächter, den diese Rede verdross,
stieß in den Schnee seinen Spieß,
und rief: „Seid ihr denn des Teufels jüngster Spross,
der euch aus der Hölle entließ?”
„Dann fort mit euch, aber im Schweinsgalopp,
ihr seid doch ‘ne Rasselbande,
habt da so dösige Flusen im Kopp,
glaubt selbst wohl, ihr wäret imstande
mich blöd zu machen mit eurem Geplärr,
soll glauben, ihr könnt mich behexen.
Wart nur, die Zelle, die bietet Gewähr,
euch zu heilen von euren Komplexen!”
Er schloss die Kinder tatsächlich ein,
in den Keller, wo Gefangene sonst sitzen.
Schrieb auf die Tür: Es sind hier drin drei Teufelein,
von den Hörnern sieht man schon die Spitzen!
Tags darauf hat der Richter die Büttel belehrt,
wie die Kinder wären zu schlagen,
damit man sie wieder zu Christus bekehrt
und sie sich vom Teufel lossagen.
Man holt auch die beiden Pfarrer herbei,
damit sie die Kinder belehren,
das der ‚Griep’ und der ‚Finneck’ der Teufel sei,
den dürfe man doch nicht verehren.
Doch weil’s bei der Lehre stets Prügel gab,
und die Quälerei nahm kein Ende,
da rief den Pfarrern zu ein Knab,
und ballte voll Zorn seine Hände:
„Wat wi ji denn, watt wir sallt deon,
un sitt’t uß dormet up de Pelle,
wui sütt uß den Deubel nich anvertriun?
Nai, ji sind de Deubels, ji sallt inne Hölle!”
„Ja, de Dunner sall jui in’t Harte sla’n,
wenn ji näo mol wedder kumt!”
Da sahen die beiden Pfarrer sich an
und ihr Mahnen war plötzlich verstummt.
Sie sagten dem Richter: „Es hat keinen Sinn,
der Teufelsbann lässt sich nicht brechen.
Schreibt einen Brief an den Kurfürsten hin,
mit der Bitte, sein Urteil zu sprechen.”
Der Richter darauf: „Nun, der Rat ist nicht schlecht,
der Fürst mag sein Urteil uns nennen.
Wir machen den Scheiterhaufen zurecht,
wenn er schreibt, sie sollen verbrennen.”
Doch der Kurfürst schrieb aus Berlin zurück:
„Macht mit der Qual nun ein Ende,
die Kinder hatten bisher wohl kein Glück,
darum gebt sie in pflegende Hände.”
Zu tüchtigen Handwerkern hin, in die Lehr,
damit sie was lernen, was können,
das ist für die Kinder die bess’re Gewähr,
ja, viel besser, als sie zu verbrennen.
Dieses Urteil verstimmte wohl manchen Herrn,
das ist aus der Chronik bekannt.
Auch der Richter hätte die Kinder wohl gern
auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Doch erst nach Pfingsten ließ man die Kinder frei,
man durfte sie ja nun nicht mehr morden.
Doch schrieb der Chronist im Bericht nicht dabei,
was aus den Kindern ist später geworden …
Heinrich Lohmeyer
Diese Geschichte trug sich zum Jahreswechsel 1661-62 in Vlotho zu. Am 10. Januar 1662 forderte Drost Arnold Christoph von der Horst von den Pfarrern Liborius Rosemeier und Magister Konrad Smid einen Bericht über die Bekehrung der drei inhaftierten Knaben an. Der Brief des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Markgraf zu Brandenburg, vom 28. Januar 1662 ist ebenfalls historisch belegt.